15. Marburger Nachtmarathon 2015

Um 19:25 Uhr vernahm ich den Signalton für den Eingang einer SMS in meinen Ohren. Text der Nachricht: „Du läufst doch heute wohl keinen Halbmarathon oder? Die Hitze macht einen so schon platt!“ Ich schätze, eine Mutter spürt einfach, wenn ihr Sprössling gerade eine Dummheit begeht… Tatsächlich befand ich mich zu diesem Zeitpunkt gerade auf der Strecke und es war ungefähr der Moment, in dem ich anfing, diese Entscheidung in Frage zu stellen. „Junge, was machst du hier eigentlich?“

Aber der Reihe nach. Ich gehöre ja eher so zu den spontanen Typen. Voranmeldungen sind nichts für mich. Nur wenn es gar nicht anders geht, aber eigentlich kann und ich will ich noch gar nicht wissen, was ich in einem halben Jahr oder in drei Monaten an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Uhrzeit tun werde. Woher soll ich wissen, was dann ist? So viele Unwägbarkeiten, es kann so viel passieren bis dahin. Ich weiß nicht mal, was ich morgen essen möchte, wie soll ich da wissen, ob ich in drei Monaten einen (Halb-)Marathon laufen möchte und auch dazu in der Lage sein werde?

Also warte ich meistens sehr lange ab, bis ich mich festlege. Dieses Mal sogar so lange, dass ich die Voranmeldungsphase komplett verstreichen ließ. Freitag Mittag kurz bei den Jungs vom Lauftreff nachgefragt: „Lauft ihr mit?“ Ein paar Stunden später trafen wir uns bei der Startnummernausgabe. Und irgendwie fragte ich mich gleich nachdem ich den Raum wieder verlassen hatte, ob ich da eine gute Idee hatte, schließlich lief mir der Schweiß schon beim bloßen Gehen nur so runter.

Viel kühler wurde es bis zum Start um 19 Uhr auf dem Marktplatz auch nicht mehr. Das Thermometer zeigte noch immer 35 Grad im Schatten. Vor dem Start scherzten wir und überlegten uns, welche Zeit wir anvisieren sollten. Irgendwas so knapp über 1:30 Stunden oder eine Pace von ca. 4:20 min/km hielten wir angesichts der Temperaturen für ein sehr ambitioniertes Ansinnen. Mir hätte es aber auch schon gereicht, einfach eine neue persönliche Bestzeit aufzustellen. Daher wählte ich in meiner Runtastic App die Ghost-Run Funktion und trat gegen meine Bestzeit vom Volkslauf durch das schöne Alstertal an.

Startschuss. Es dauerte wieder etwas, ehe wir endlich in Tritt kamen. Der erste Streckenkilometer vom Marktplatz über die Barfüßerstraße ist ziemlich eng und das Überholen kostet schon zu Beginn unnötig viel Kraft. Auf der Universitätsstraße konnten wir dann richtig Gas geben und die Zuschauer am Straßenrand wirken natürlich auch sehr beflügelnd. So legten wir die Kilometer zwei und drei in jeweils 4:12 Minuten zurück. Viel zu schnell. Über Kopfhörer erhielt ich die Auskunft, dass ich meinem Gegner (also mir selbst) bereits enteilt war. Aber kein Wunder, beim Alstertallauf kam ich die ersten Kilometern auf dem schmalen Weg auch kaum von der Stelle. Doch trotz des Wissen darum, pushte mich die Nachricht, in Führung zu liegen.

Laufen, Laufsandalen, Huaraches

Die erste Wasserstation nach fünf Kilometern kam wirklich keinen Meter zu früh und irgendwie dämmerte mir so langsam, dass das heute ein richtig schweres Unterfangen werden könnte. Mein Puls war bereits viel zu hoch, insbesondere in Anbetracht der noch vor mir liegenden Distanz. Und auf Kilometer sieben musste ich dem hohen Anfangstempo dann auch schon Tribut zollen. Mein imaginäres Ich vom Alstertallauf überholte mich („Dein Gegner ist vorbeigezogen“) und auch die beiden Jungs vom Lauftreff musste ich ziehen lassen. Doch trotz Verlangsamung des Tempos, sank meine Herzfrequenz nicht nennenswert. Sie bewegte sich noch immer im roten Bereich.

Ich beschäftigte mich ernsthaft mit dem Gedanken, aufzugeben. Eine neue persönliche Bestzeit zu laufen, war zu diesem Zeitpunkt völlig utopisch, dessen war ich mir mittlerweile bewusst. Es würde sogar eine Qual werden, das Rennen überhaupt zu beenden. Trotzdem… auch wenn die Herausforderung jetzt eine andere war, Aufgeben entspricht nicht meinem Naturell. Und es heißt ja schließlich nicht umsonst Ausdauersport.

Herzfrequenz Grafik Runtastic Pro App Screenshot
Das sieht nicht mehr gesund aus. Ãœber drei Viertel des Laufs lag meine Herzfrequenz jenseits von 177 BPM.

Verzweifelt versuchte ich, den Puls endlich aus dem roten Bereich zu bekommen. Es gelang mir nicht. Mir war wahnsinnig heiß. Es war sogar so heiß, dass das kalte Wasser, das ich mir aus einem Schwamm über den Scheitel laufen ließ, lauwarm an den Ohren ankam. Als wir etwa zur Hälfte der Strecke Mensa und Unistadion passierten, fühlte ich mich durch die dort stehenden Zuschauer noch einmal gepusht, was sich tatsächlich auch in einer besseren Pace äußerte.

Im Ãœbrigen kämpfte ich nun schon eine ganze Weile mit einem schlechten Sitz meiner rechten Sandale. Irgendwie hatte sich die Schnürung offenbar soweit gelöst, dass ich in der Sandale hin und her rutschte und das Band zwischen erster und zweiter Zehe äußerst unangenehm scheuerte (Ich habe mir da sogar eine schmerzhafte Blase zugezogen). Ist das nicht verrückt? Natürlich kommt es ab und an mal vor, dass sich beim Laufen in Traditionellen Huaraches das Band mal etwas lockert, aber dass das Band zwischen den Zehen scheuert… das ist mir wirklich noch nie widerfahren. Klar, dass mir das neben dem Fehler des Ãœberpacens und der brütenden Hitze ausgerechnet bei einem Volkslauf passieren muss.

Nach etwa 14 Kilometern blieb mir gar nichts anderes übrig, als kurz anzuhalten, um die rechte Sandale etwas zu richten und das Band neu zu fixieren. Das hatte zumindest den positiven Nebeneffekt, dass meine Herzfrequenz jetzt endlich mal aus dem roten Bereich rauskam.

Apropos Sandalen, auch dieses Mal wurde ich wieder von einigen Mitläufern auf die Huaraches angesprochen und erntete einige zweifelnde Blicke. Aber was mir wirklich im Gedächtnis geblieben ist, war folgende Begegnung. Kurz bevor es über die Lahnbrücke an der B3 nahe Gisselberg ging, kam uns eine Gruppe Jugendlicher entgegen. Oder sagen wir doch einfach gleich, dass es eine Gruppe von Asis war. Beim Asi handelt es sich um eine humanoide Minimalkonfiguration, die sich unschwer anhand von optischen Merkmalen wie Kleidungsstil, Gangart und Gesichtsausdruck sowie einer eigenartigen und stark limitierten Form der Kommunikation erkennen lässt.

Da brüllt mir doch eine dieser Evolutionsbremsen hinterher: „Alter… willst du mich verarschen? Flip-Flops? Du behinderter Öko!“ Ich habe keine Ahnung, wieso ich das alles verstanden habe. Ich muss wohl sehr langsam unterwegs gewesen sein, dass ich das ganze Gestammel tatsächlich vernehmen konnte. Und ich glaube sogar, dass dies mein aller erster Fremdschämmoment beim Laufen war…

Aber wie dem auch sei, ich musste mich noch ganz schön quälen. Etwa zweieinhalb Kilometer vor dem Ziel, sagte mir die Stimme ins Ohr: „Du hast es leider nicht geschafft.“ – „Ach, was weißt du denn schon? Ich schaffe es ins Ziel!“ Ok, meine persönliche Bestzeit hatte ich bereits jetzt verpasst, aber ich war trotzdem sehr erleichtert, denn jetzt konnte ich mir sicher sein, es auch ins Ziel zu schaffen. Ich war sogar wieder in der Lage, das Tempo ein bisschen anzuziehen. Nach 1:45:27 Stunden (Nettozeit: 1:45:03 Stunden) überquerte ich die Ziellinie. Mein persönliches Ziel hatte ich also sehr, sehr, sehr deutlich verfehlt.

Marburger Nachtmarathon 2015 Ziel
Auch Dennis hat sich durch die Hitze gekämpft. Er wurde erst kürzlich auf diesen Blog aufmerksam…

Ja selbst bei meiner allerersten Teilnahme vor zwei Jahren, konnte ich eine bessere Zeit erzielen. Allerdings war ich jetzt, trotz größerem Teilnehmerfeld satte 129 Plätze weiter vorne. Offensichtlich hat also nicht nur mir die extreme Hitze sehr zu schaffen gemacht. Und ich habe wieder etwas gelernt: Ein zu hohes Anfangstempo rächt sich immer. Wie sich gezeigt hat, ist es insbesondere bei Temperaturen jenseits der 30 Grad nicht mehr möglich, den Puls dann wieder in den grünen Bereich zu bekommen. Ironie des Schicksals, dass ich mich ausgerechnet dieses Mal völlig verausgabt habe, wo ich doch erstmals während eines Rennens über meine Herzfrequenz im Bilde war.

Nachdem ich nun bereits zum dritten Mal am Marburger Nachtmarathon teilgenommen habe, steht es mir m. E. auch zu, mal etwas Kritik an der Organisation zu äußern. Denn auch wenn ich die Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer wirklich sehr zu schätzen weiß, empfinde ich die Zielverpflegung als schlechten Witz. Während an der Strecke zumindest an vereinzelten Stationen Cola und Iso-Drinks gereicht werden, gibt es im Ziel nur reines Leitungswasser und ekelhaft schmeckenden Zitronentee. Entschuldigung, wenn ich das so sage, aber das ist eine absolute Zumutung. Bei fast jeder anderen Laufveranstaltung kann man sich im Ziel mit Apfelstücken, Bananen, Limonade und alkoholfreiem Bier stärken.

Erdinger Weißbier Alkoholfrei Weißbierglas
Bevor ich mir den Stress bei der Getränkeausgabe des Nachtmarathons gebe, trinke ich mein Alkoholfreies doch lieber ganz entspannt auf dem Balkon.

Das hat weder etwas mit der Höhe des Startgelds, noch mit der Größe der Veranstaltung zu tun. Das Airport Race in Hamburg ist z. B. sowohl was das Startgeld als auch was die Größe des Teilnehmerfelds betrifft, mit dem Marburger Nachtmarathon vergleichbar. Aber dort bekommt man so viel alkoholfreies Bier, wie man trinken kann. Hier, in Marburg muss man für ein einziges alkoholfreies Bier (und zwar nicht einmal 0,5 l) satte 2 Euro bezahlen. Das Bier erhält man aber nicht etwa gegen Bargeld, nein, absurderweise muss man das Bargeld zunächst im Verhältnis 1 zu 1 gegen Wertmarken tauschen und nachdem man dann die Pfandmarke zurückerhalten hat, muss man diese wieder zurück tauschen. Man steht also für ein einziges Getränk vier Mal an Wertmarkenausgabe und Theke an. Wisst ihr was? Da trink‘ ich mein kühles Erdinger doch lieber ganz entspannt bei mir auf dem Balkon. „Leckt mich Leute, ich geh‘ nach Hause…“

4 Kommentare

  1. Hallo!
    Jetzt muss ich auch mal einen Kommentar schreiben….Finde deine Beiträge sehr hilfreich und angenehm geschrieben. Natürlich auch das Thema "in Huaraches laufen" auch sehr spannend, da ich seit heuer auch mehr und mehr versuche minimalst zu laufen. Danke fürs Teilen deiner Erfahrungen 😉 LG Christoph

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